21.07.2021 Nauka

Hier findet man Informationen über aktuelle oder zukünftige Satelliten-Starts.

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Goofy78
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Goofy78 »

An Bord der Internationalen Raumstation gab es heute einen kurzen Notfall. Wir haben die Kommunikation zwischen der Besatzung und Houston und Moskau zusammengestellt, um einen Zeitplan für das Geschehene zu finden.

16:36 UTC - Crew und MCC Houston bemerken, dass sich die ISS-Lage verändert, Video von der ISS zeigt schwimmende Trümmer
16:36 UTC bis 16:40 UTC - Es wird durch externe Kameras gesehen, dass die ISS ihre Position im Orbit verändert.
16:38 UTC - Crew schließt kürzlich geöffnete MLM-Luke
16:40 UTC – MCC Houston bestätigt, dass die ISS um 45 Grad außer Position ist und zunimmt
16:46 UTC – MCC Houston bestätigt, dass Solarzellen gesperrt und Kuppelfenster geschlossen sind
16:49 UTC - MCC Moskau bittet die Crew, zu bestätigen, ob Nauka MLM noch feuert
16:52 UTC – Besatzung bestätigt, dass die MLM-Triebwerke von Nauka immer noch feuern
16:59 UTC – MCC Houston bestätigt, dass sich Svesda und Nauka in einem „Tauziehen“ befinden und beide versuchen die Triebwerke zu feuern
17:16 UTC – MCC Houston bestätigt, dass Progress jetzt in der Lagekontrolle der Raumstation ist
17:28 UTC - MCC Houston bestätigt, dass die Nauka MLM-Triebwerke nicht mehr feuern, die Position der ISS ist wieder normal.


MLM Nauka hatte gerade ein paar Stunden zuvor an die ISS angedockt und die Besatzung hatte gerade die Luken zwischen den beiden geöffnet. Teams am Boden haben auch damit begonnen, Nauka MLM in die Software der Raumstationen zu integrieren, als die Probleme auftraten.
Die Besatzung war während dieses Notfalls in keiner Gefahr und die Raumstation befindet sich jetzt in einer stabilen Lage.



(Quelle: SpaceVideos)
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Shofer Ylli
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Shofer Ylli »

Ich setze hier den Bericht zum 8tägigen autonomen Flug von Nauka fort.

Nachdem klar war, dass die anfänglichen technischen Probleme mit Nauka gelöst waren und das Modul die ISS erreichen würde, wurde am 26.7. das alte Schleusenmodul Pirs zusammen mit Progress MS-16 von der ISS abgekoppelt, um einen Andockplatz für Nauka zu schaffen. Das war der Nadir-Kopplungsstutzen in der kugelförmigen Übergangssektion von Swesda. Nach der Abkopplung erfolgte eine optische Inspektion des Kopplungsstutzens, um seine technische Einsatzbereitschaft zu bestätigen. Immerhin ist dieser Platz seit 11 Jahren nicht mehr aktiv benutzt wurden.
Am 27.Juli erfolgte um 14:33 Uhr UTC die vierte Bahnkorrektur für Nauka. Das Perigäum wurde angehoben.
Die neue Bahn (nach amerikanischen Daten): 359 - 406 km bei 92,21 min Umlaufzeit.
Ursprünglich waren nur 4 Manöver für Nauka mit DKS vorgesehen, um die Montagebahn mit der ISS zu erreichen.
Die anfänglichen Probleme mit dem Antriebssystem erforderten nun eine Planänderung.
Am 28.7. erfolgte um 13:43 Uhr UTC die fünfte und letzte Bahnkorrektur für Nauka. Wieder wurde das Perigäum angehoben, neue Bahn (nach amerikanischen Daten): 370 - 406 km bei 92,32 min Umlaufzeit.
4 der 5 Bahnkorrekturen erfolgten mit dem Hauptantrieb DKS, nur die erste mit den Steuerdüsen DPS.
Es kam der entscheidende Tag, Donnerstag, der 29.Juli 2021, der Tag der Kopplung.
Wegen nach der knappen Treibstoffvorräte ging das Flugkontrollzentrum davon aus, dass der Anflug im ersten Versuch klappen musste.
Live-Bilder, insbesondere der Navigationskamera Kurs 2, zeigten Anfluggeschwindigkeit und vorhandenen Treibstoff. Neben dem Flugkontrollzentrum ZUP-M in Koroljow stand Kosmonaut Oleg Nowizkij am TORU bereit, Nauka mit der Hand anzulegen. Aber das Anlegemanöver verlief automatisch, wie inzwischen auch die NASA bestätigt hat .
Die Annährungsgeschwindigkeit zum Schluss betrug 0,1 m/s, die DTS-Düsen verankerten Nauka am Nadir-Stutzen. Die Endphase des Anfluges sah sauber und ruhig aus. Beim Einrasten von Nauka in den Stutzen schwankten die Solarzellenflächen leicht.
In den Tanks waren noch rund 500 kg Treibstoff für das Kopplungsmanöver verblieben. 300 kg wurden für den Endanflug verbraucht. Ob Nauka tatsächlich nur Treibstoff für einen einzigen Anflug hatte, bleibt unklar.
Die Kopplung von Nauka an die ISS erfolgte am 29.7.13:29 Uhr UTC.
Von Seiten der ISS hatte man einige Maßnahmen vor der Kopplung ergriffen. Die Orientierung der Station wurde geändert. Sie wurde so gedreht, dass der Nadir-Stutzen von Sweda nach vorn zeigt. Das ist eine unübliche Position für die ISS, erleichterte aber Nauka den Anflug deutlich. Die Solarzellenflächen wurden verriegelt, um bei dynamischen Manövern nicht durch Schwingungen überlastet zu werden. Das ist eine Standardmaßnahme bei Kopplungen.
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Shofer Ylli
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Shofer Ylli »

Der Nauka-Zwischenfall

Weiter oben hat Goofy78 schon die Ereignisse vom 29.7.2021 in sehr schönen Stichpunkten zusammengefasst.
Ich versuche, die Ereignisse und Chronologie nach den vorliegenden Informationen von NASA und Roskosmos zu beschreiben.
Vorweg: der Nauka-Zwischenfall war ein riesiger Aufreger in der Welt der Raumfahrtfans weltweit und hat die Gräben zwischen Russland-Skeptikern und Russland-Symphatisanten wieder vertieft.
Insbesondere die Skeptiker zögerten nicht, mit viel Polemik über das "Zombie-Modul" oder die "Russen-Bombe" herzuziehen.

Was ist geschehen?
Wie bereits beschrieben, hat Nauka am 29.7.2021 13.29 Uhr UTC an der ISS angekoppelt.
Danach begannen die üblichen Arbeiten, wenn ein neues Schiff in die Station integriert wird.
Die beiden russischen Kosmonauten Nowzikij und Dubrow bereiteten die Öffnung der Luke zu Nauka vor, gleichzeitig wurde auch die Einbindung der Bordsysteme von Nauka in die Systeme der ISS vorbereitet.
Allerdings wurde das Antriebssystem von Nauka nicht abgeschaltet. Ob ein Softwarefehler vorlag oder schlichtweg eine Prozedur zum Abschalten nicht existierte, ist bislang nicht bekannt.
3 Stunden nach der Kopplung nahmen dramatische Ereignisse ihren Lauf. Nauka zündete unautorisiert Triebwerke (wahrscheinlich DTS, vielleicht auch DPS, die großen DKS-Motoren blieben definitiv stumm).
Dadurch wurde die Raumlage der ISS aktiv ungünstig beeinflusst. Um 16.42 Uhr UTC stellte die NASA offiziell fest, dass Triebwerke von Nauka brennen. Für rund 45 Minuten (16.42 Uhr - 17.29 Uhr UTC) war die Station nicht orientiert und führte 1,5 "Purzelbäume" vorwärts und 0,5 Purzelbäume rückwarts durch. Für 11 min (4+7 min) riss sogar der Funkkontakt zum Boden ab. Die Drehung war allerdings so langsam, dass es die Raumfahrer an Bord gar nicht bemerkten.
Als Nauka die ISS aus der gewünschten Raumlage brachte , schalteten die Steuerdüsen von Swesda zu, um den Fehler zu korrigieren. Schließlich wurde auch auch Progress MS-17 zugeschaltet. Die NASA sprach von einem "Krieg der Module". Das Öffnen von Nauka wurde abgebrochen, offiziell von der NASA der Notfall ausgerufen. Durch die Drehungen befürchtete die NASA Schäden an empfindlichen Elementen wie den riesigen Solarzellenflächen und ihren Drehgelenken.
Aber 17.29 Uhr UTC war die Lagekontrolle der ISS wieder hergestellt. Die Triebwerke von Nauka brannten nicht mehr. Dabei ist unklar, ob einfach die 500 kg Rest-Treibstoff verbraucht waren oder die Triebwerke aktiv abgeschaltet wurden.
Offenbar war tatsächlich der Treibstoff verbraucht. Es gab kein Notfallabschaltsystem für Nauka und da sich das Modul zu dieser Zeit nicht im Sichtbereich russischer Bodenstationen befand, konnte es nicht abgeschaltet - ein klarer schwerer technischer Mangel, zumindestens aus der Sicht westlicher Beobachter.
Der russische Flugleiter Wladimir Solowjow sprach offziell von einem "Softwarefehler". Kosmonaut Nowizkij betonte, dass es allen an Bord gut gehe. Auch die anderen Raumfahrer beruhigten.
Die NASA sagte den für den 30.7. geplanten Start des Starliner OFT-2 zur ISS ab, um die Vorgänge genauer untersuchen zu können.
Roskosmos-Chef Rogosin begriff die große Aufregung im Westen nicht und ging auch gar nicht darauf ein.
Nach einem Tag von Untersuchungen erklärten NASA und Roskosmos die ISS für weiterhin einsatzbereit. Am 30.7. sollen die Tanks von Nauka mit Helium ausgepustet worden sein. Offenbar befindet sich kein Treibstoff mehr im Antriebssystem des Moduls.
Am 31.7.2021 öffneten Nowizkij und Dubrow die Luke zu Nauka und warfen einen ersten Blick hinein.

Fazit:
wieder (aus westlicher Sicht) schlechte Öffentlichkeitsarbeit von Roskosmos.
Wenig Details wurden mitgeteilt, der Vorfall heruntergespielt.
Eine wesentliche Rolle für die Schmal-Lippigkeit von Roskosmos dürften die neuen, sehr strengen Regeln des FSB zum Umgang mit militärischen Informationen spielen. Selbst veröffentlichte Informationen dürfen jetzt nicht ohne Genehmigung an den Westen (also im Internet) weitergegeben werden.
Die NASA selbst bemüht sich auch, den Vorfall nicht für eine weitere Entzweihung von den Russen zu benutzen. Der NASA-Administrator Nelson hat Roskosmos offiziell zur Ankopplung von Nauka gratuliert, ohne überhaupt auf den Vorfall einzugehen.
Zuletzt geändert von Shofer Ylli am So 8. Aug 2021, 22:35, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Shofer Ylli »

Bild
Nowizkij und Dubrow bereiten den Überstieg in Nauka vor. Sie befinden sich im Modul Swesda, in der Sektion PChO.
Das Nadir-Kopplungsaggregat SSWP-M G8000 ist hochgeklappt. Sie stehen im Durchstiegstunnel (Durchmesser 800 mm), unter ihnen ist das aktive Kopplungsaggregat ASA-G von Nauka).

Foto: Roskosmos
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Shofer Ylli »

Bild
Nauka hat ein neues großes Fenster, das neue Aussichten aus der ISS erlaubt.
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Re: 21.07.2021 Nauka

Beitrag von Shofer Ylli »

Der europäische Greifarm ERA funktioniert nicht richtig.
Es gibt mechanische und Software-Probleme.
Im Januar 2022 soll es einen Ausstieg geben, der sich speziell ERA widmet.
Man ist zuversichtlich, den Greifarm im Verlauf des nächsten Jahres in Betrieb nehmen zu können.

https://novosti-kosmonavtiki.ru/news/81563/
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